Amoklauf in New York

Angesichts des Amoklaufs gestern in der Sandy-Hook-Schule hat Phönix die Doku Amokläufer im Visier (IMDB) erneut gezeigt. Der Film ist entstanden, als nach den Amokläufen in Erfurt (2002) und Emsdetten (2006) klar war, dass es sich hierbei nicht um ein rein amerikanisches Problem handelt.

Für ein Thema, das oftmals so populistisch und polemisch und inkompetent (leider) auch von den öffentlich-rechtlichen Sendern behandelt wird, ist Amokläufer im Visier erstaunlich gut recherchiert. Auch wenn ich nicht allen Aussagen zustimme, wurde immerhin nicht stupides Killerspiel-Bashing und die Suche nach kurzsichigen und einfachen Antworten in den Vordergrund gestellt.

Im Zusammenhang damit hier nochmal ein Text, den ich im März 2009 über die unsägliche Debatte nach dem Amoklauf von Winnenden verfasst habe. Damals hatte ich noch kein Blog, er ist in der Tageszeitung erschienen ;)


Sobald eine solch schreckliche Tat wie ein Amoklauf in einer Schule stattfindet, beginnt sofort die Suche nach einem Sündenbock und mit sogenannten „Killerspielen“ ist ein solcher auch schnell gefunden.
Sofort sind diverse Jugendschützer, Elternverbände, Pädagogen und Politiker dabei mit Forderungen nach einem Verbot. Genauso groß ist selbstverständlich die Aufregung innerhalb der Spielergemeinschaft über etwaige Verbote. Diskussionen finden jedoch nicht zwischen den beteiligten Gruppen statt, sondern nur innerhalb dieser Gruppen, man kann auch schon fast von einem Generationenkonflikt sprechen. Die einzelnen Gruppen wollen sich gar nicht verstehen, zusätzlich sind Äußerungen auf beiden Seiten stark von Emotionen geprägt und polemisch, oftmals entbehren Aussagen von „Killerspiel“-Gegnern jeder Grundlage. Dies trifft z. B. auf die Aussage zu, dass Counterstrike für das amerikanische Militär entwickelt worden ist. Das stimmt so nicht, Counter-Strike wurde als Erweiterung des Spieles Half-Life von Fans in Eigenregie entwickelt und als es eine große Fanbasis hatte schließlich kommerziell vermarktet. Tatsächlich gibt es einen von der U.S. Army entwickelten Ego-Shooter, der bezeichnenderweise auch America's Army heißt und zu Werbezwecken benutzt wird.
Häufig wird auch (bereits bei früheren Amokläufen) erwähnt, dass solche Spiele keine Gewalttätigkeit auslassen, dass Menschen verstümmelt werden o. Ä. Tatsächlich gibt es in anderen Ländern deutlich gewalttätigere Spiele als Counterstrike, in Deutschland sind solche jedoch nicht zugelassen, da es hier bereits die restriktivste Gesetzgebung gibt. Bezeichnenderweise gibt der Rechtsexperte und Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Wolfgang Bosbach zu, dass er sich nicht mit solchen Spielen beschäftigen müsse, um darüber Urteilen zu können. So setzt er weithin Lügen in die Welt und jeder mag sich selbst ein Urteil über sein Demokratieverständnis und seine Auffassung der Tätigkeiten und Pflichten eines MdBs bilden.
Tatächlich gibt es beim Vorschlag, zumindest in Deutschland mit dem Verbot von „Killerspielen“ zu beginnen, mehrere Probleme. In der Zeit nicht nur der ökonomischen Globalisierung, sondern auch der Vernetzung der Information und des Datenzugriffs, ist es ohne Probleme möglich, verbotene Spiele im benachbarten Ausland zu bestellen oder im Internet herunterzuladen und ich gehöre sicherlich nicht zu einer Randgruppe, wenn ich über solche Möglichkeiten Bescheid weiß. Bei aufbauenden Unternehmungen wie dem Klimaschutz mag es möglich sein, als Vorreiter einzutreten, bei Restriktionen bringt es hingegen wenig.
Gleichzeitig wird ein Wirtschaftszweig in Deutschland enorm Geschädigt, Spiele wie FarCry wurden und werden in Deutschland entwickelt. Darüber hinaus wird die Gruppe der Spieler solcher Spiele in die Illegalität abgedrängt. Dass solche Unternehmungen keinen Erfolg haben, dürfte in der Geschichte bei diversen Verbotsaktionen hinreichend bekannt sein.
Als wichtigstes Argument sehe ich jedoch an, dass über den Einfluss von Computerspielen überhaupt nichts mit Sicherheit bekannt ist. Fest steht bisher nur, dass es überhaupt einen Einfluss gibt. Jede Seite kann hinreichend Studien vorweisen, die ihre Meinung belegen. Es gibt mehrere Ansätze, z. B. dass aggressive Computerspiele die Aggressionsbereitschaft fördern, jedoch auch solche die Behaupten sie würden Angst erzeugen und die Aggressionsbereitschaft hemmen. Darüber hinaus können sie nach weiteren Theorien abstumpfend und schließlich auch noch Aggressionsbereitschaft mindern. Diese Vielfalt bisher ungeklärter Ansätze kann uns nur eines sagen: dass es keine einfache monokausale Erklärung für die Wirkung gewalttätiger Computerspiele gibt.
Allgemein haben Computerspiele nur einen kleinen Anteil an Amokläufen. Ein großer Teil der Amokläufer hat regelmäßigen Umgang mit Waffen und teilweise erhebliche Probleme mit ihrer Umwelt oder in der Schule.
Unsere gesamte Gesellschaft ist von Gewalt geprägt. Das beginnt damit, dass im Fernsehen sowohl in fiktiven Filmen als auch in den Nachrichten regelmäßig brutalste Gewalt präsentiert wird. Aber auch wenn wir von der „Ellenbogengesellschaft“ sprechen, sehen wir die Gewalt im ganzen System. Man kann schnell als „Opfer“ abgestempelt werden, wird gemieden oder gemobbt, jeder versucht einen noch tiefer stehenden zu finden, um sich über ihn zu erheben.
In Anbetracht dieser Umstände kann es meiner Meinung nach keinen positiven Effekt auf die Prävention haben, wenn „Killerspiele“ verboten werden.

Ein ebenfalls sehr guter Text über das Problem ist Die Gewalt in der Maschine, der bereits 2000 in der c’t erschienen ist.

Zuletzt geändert: 15. Dezember 2012 um 21:37 Uhr.

Geschrieben von .

a.k.a.

Ich bin Diplom-Informatiker, den es von Herten im wunderschönen Ruhrgebiet nach Berlin verschlagen hat. An der TU Berlin forsche ich nun als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der kombinatorischen Optimierung an Graphalgorithmen; nebenbei bringe ich Anfängern Programmieren bei. Ich blogge hier über alles was mich interessiert, vor allem Nerdiges und Reisen.

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